«Alle sagten, jetzt dreht er völlig durch» – Weinanbau bei Frankfurt (Oder)

Grauburgunder oder Dornfelder – diese Sorten klingen nach Anbaugebieten in der Pfalz oder Rheinhessen. Doch längst wachsen Weinreben hektarweise in Brandenburg. Von Silke Nauschütz.

Wenn die 90-jährige Großmutter von Matthias Jahnke morgens aus ihrem Fenster blickt, sieht sie den Weinberg ihres Enkels und ist zufrieden. «Ach Jungchen, mach nicht zu viel», sagt sie dem Landwirt öfter, der sich einen Traum erfüllt hat. Seit 2014 baut der 49-Jährige auf dem Weingut Patke im brandenburgischen Pillgram gemeinsam mit einer befreundeten Familie Wein an. Eigentlich ist Jahnke Geschäftsführer eines Sanitär-und Heizungsbetriebes mit etwa 100 Mitarbeitern. Doch als Weingenießer liebäugelte er schon lange mit der Produktion des Rebensaftes. Entgegen kam ihm da vor etwa zehn Jahren der Familienbesitz. «Ich wollte nicht, dass der Bauernhof meiner Großmutter verkauft wird», erzählt Jahnke. Er übernahm den Hof – seine Großmutter wohnt weiter bei ihm und sieht nun, wie die Pläne des Enkels Früchte tragen.

2014 pflanzte Jahnke in Pillgram (Oder-Spree) die ersten 1500 Reben.

«Alle sagten, jetzt dreht er völlig durch»

erinnert er sich. Später übernahm der Landwirt die Fläche eines Weinbauvereins in Grano (Spree-Neiße). 2017 dachte er zwischenzeitlich ans Aufgeben, weil er die viele Arbeit unterschätzt hatte. «Da ich nie einen Schritt zurückgehe, hab ich beschlossen, ich mach noch ein paar Hektar.»

Mittlerweile wächst seine Weinanbaufläche stetig. Jahnke produziert bis zu 15 Tonnen Trauben im Jahr – das sind etwa 15 000 Flaschen Wein. Jahnke keltert den Wein selbst, in einer der drei märkischen Keltereien in Grano – am Ende sind es 15 unterschiedliche Weinsorten, darunter Weißburgunder und Dornfelder. 15 Hektar mit bis zu 75 000 Rebstöcken sollen es werden – der Winzer will auf alten historischen Weinbergen pflanzen, unter anderem im Frankfurter Ortsteil Markendorf. Dafür schaut sich Jahnke historische Karten aus dem Stadtarchiv an, auf denen jahrhundertealte Weinberge eingezeichnet sind. Er wäre dann einer der größten Weinanbauer im Land.

© Foto: Matthias Kayales

Wie viel Wein in Deutschland angebaut werden darf, entscheidet die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), die nach eigenen Angaben für die Genehmigung von Neuanpflanzungen zuständig ist. Für Anträge auf Zulassung von Wiederbepflanzungen und Umwandlungen seien die Landesbehörden verantwortlich, erklärte eine Sprecherin. Dass benötigte Pflanzrechte zugeteilt werden, unterliegt demnach bestimmten Kriterien wie etwa der Lage der Anbaufläche. Gemessen an den großen deutschen Weinbauregionen hat Brandenburg nur eine winzige Fläche – insgesamt etwa 35 Hektar. In Rheinhessen betreibt manch ein Winzer allein eine Weinanbaufläche dieser Größe.

Frankfurt (Oder) jedenfalls sieht mit Blick auf Jahnkes Pläne zum Weinanbau in der Stadt einen Mehrwert. Der Anbau auf alten historischen Flächen erhöhe auch die touristische Attraktivität und trage zur Vielfalt bei, hieß es aus der Stadtverwaltung. Es sei eine Freude, den Winzer bei seinem Vorhaben zu unterstützen.

Wein aus Brandenburg? Deutschlandweit wird das immer noch als etwas Besonderes angesehen – mitunter sogar belächelt. Das liegt unter anderem in der Historie begründet. Die Qualität des Traubensaftes und die Süße wurden lange angezweifelt. «Märkischer Erde Weinerträge – gehen durch die Kehle wie ’ne Säge» – so sollen Studenten der Viadrina Universität in Frankfurt (Oder) im 16. Jahrhundert über den Brandenburger Wein gespottet haben.

Doch die märkische Sonne lässt inzwischen gute Traubenqualitäten reifen. Nach Angaben des Brandenburger Agrarministeriums bietet die kontinentale Lage im Sommer sogar einige Sonnenstunden mehr als in den bekannten Weinanbaugebieten Rheinhessen oder Rheinland-Pfalz. Jahnke berichtet von durchschnittlich 1860 Sonnenstunden in Pillgram. Weinanbaugebiete gibt es mittlerweile von der Uckermark über die Region um Potsdam bis zur Lausitz. Auf einem rekultivierten Tagebau am Rande der Grube Welzow-Süd stehen 26 600 Reben auf rund sechs Hektar. Bettina Muthmann von der Wolkenberg Winzerei sucht nach eigenen Angaben händeringend Hilfskräfte.

© Foto: Matthias Kayales Weingut Patke in Pillgram bei Frankfurt (Oder)

Der Anbau sei auf dem Vormarsch, bestätigt auch Jahnke. Die Bedingungen würden immer besser, wegen des Klimawandels werde es wärmer und milder. Trotzdem müsse er Wetterkapriolen trotzen, berichtet der Winzer. Laut Bundesinstitut begünstigen extreme Niederschläge in Sommermonaten den Pilzbefall. Abhilfe schaffen neu gezüchtete, widerstandsfähigere Rebsorten. «Man kann auch dagegensteuern – nicht mit Chemie sondern mit gesundem Menschenverstand»», sagt Jahnke. Statt zu mulchen, mähte er das Gras im Sommer zwischen den Rebstöcken nicht ab, damit es das viele Wasser aufnehmen konnte. Zudem befreite er die Trauben vom Laub und sorgte so für eine gute Durchlüftung.

Das hört sich fachmännisch an, als habe der 49-Jährige den Winzerberuf von der Pike auf gelernt. Doch weit gefehlt: Geschult wurde und wird er von erfahrenen Winzerfreunden aus der Pfalz – per Handy. «Wenn ich ein Problem habe, schicke ich ein Foto und bekomme meine Informationen», erzählt der ostdeutsche Weinanbauer.

Schwierig bleibt die Vermarktung. Wein sei immer noch untypisch für die Region. «Da fehlt mir noch das Gesicht», sagt Jahnke, der den Traubensaft in seinem Hofladen, auf Festen, aber auch an einige Restaurants verkauft. Im Vergleich zu anderen Winzern in Brandenburg muss er nicht davon leben – Jahnke betreibt einen Mischbetrieb unter anderem mit Rinderhaltung und Erdbeeranbau, aber auch eine Obstbrennerei, in der er Mirabellen Pflaumen und regionale Äpfel verarbeitet. «Meine Mutter hat früher gesagt, ich soll was Gescheites lernen», lächelt er und blickt über die Rebstöcke.

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