Kulturkritik: Völlig ungeschminkt in einer harten und grausamen Welt

V.l.n.r. Elena Carrière, Daniel Léon, Mathieu Carrière, Florian Vogel und Judith Rosmair

Im Kleist Forum wurde im Rahmen der Kleist-Festtage am Freitag mit der eigenen Produktion des Hauses „Kleist und andere Monster“ von und mit Mathieu und Elena Carrière sowie Judith Rosmair ein Thema auf die Bühne gebracht, das angesichts des aufflammenden Konflikts in Nahost nicht aktueller hätte sein können. Von Bernd Hesse.

Freitag der 13. war im Rahmen der Kleist-Festtage alles andere als ein Unglückstag. Als regelrechter Glücksfall entpuppte sich die Uraufführung der Lese-Performance „Kleist und andere Monster“ auf der Studiobühne des Kleist Forums. Zu Beginn der Veranstaltung schlendert Mathieu Carrière, mit seinen über 200 Rollen in Film und Theater einer der Grandseigneurs des Schauspiels, die Zuschauer begrüßend durch den Gang und lehnt sich lässig an die Bühne. Während er von Gewalt, Krieg und Terror in Kleists Werken und in unserer Gegenwart spricht, strafft sich sein Körper und schon ist man mitten im Stück. Er steigt auf die Bühne und nimmt das Publikum dabei förmlich mit, welches Zeuge einer unerhörten Begebenheit wird. Dort ist schon ein zweiter Scheinwerfer auf Carrières Tochter Elena gerichtet, die dem Publikum als Model und Schauspielerin bekannt ist.

Das kalte, auf die ersten beiden Akteure, Mathieu und Elena Carrière, gerichtete Licht signalisiert die Fixpunkte des Geschehens. Trotzig und beherrscht klingt Elenas Frauenstimme, die den männlichen Terroristen mimt, der mit einer tödlichen Anschlagsserie eine Blutspur durch das südliche Frankreich gezogen hat. Der Text von Said Ould Khelifa und Mathieu Carrière „Die Jagd“ ist das Konzentrat des Gespräches zwischen dem in seinem Versteck verschanzten Terroristen Mohammed Merah und einem Geheimdienstpolizisten, der ihn zur Aufgabe bewegen möchte. Der Titel des Textes ist dabei so mehrdeutig wie der Titel des Stückes selbst. Den Terroranschlägen waren 2012 in Südfrankreich sieben Menschen zum Opfer gefallen: drei französische Soldaten und vier Menschen vor einer jüdischen Schule, darunter drei Kinder. Erschreckend ist die Aktualität des Stückes um Gewalt und Krieg genauso wie die Haltung des Terroristen, der nüchtern und eigensinnig seine im Namen Allahs ausgeführten Taten rechtfertigt. Sein Gegenspieler, der Geheimpolizist, der den Täter zur Aufgabe bewegen möchte, und selbst Muslime ist, führt diesem genauso klar vor Augen, dass er die Konsequenzen für seine Taten zu tragen hat. Dabei erfahren der Terrorist und das Publikum, dass auch unter den ermordeten Soldaten Muslime waren. Nur einen Moment zögert der Terrorist in seinem Rechtfertigungswahn, bevor er sich entscheidet, dass diese nicht wirklich an Allah geglaubt haben könnten, weil er sie im Auftrag des Herrn hingerichtet hatte. Deutlich wird in diesen Momenten der Unterschied zwischen Fanatismus und Glaube. So wird das Stück nicht nur zur Anklage, sondern eröffnet eine differenzierte Sichtweise.

Die Bewegung und Mimik von Mathieu und Elena Carrière wandelt das Stück in eine szenische Lesung. Von Anfang an knistert die Spannung zwischen beiden. Mohammed friert, die Polizisten haben beim Schusswechsel die Wasserleitungen ins Visier genommen, um die Lage der Zielperson so beschwerlich wie möglich und am besten unerträglich zu machen. So steht ihm das Wasser wenn noch nicht bis zum Hals, so wenigstens bis zu den Knöcheln. Immer weiter entfernen beide sich von der sie umgebenden Welt, deren Schlaglichter gelegentlich ins Gespräch blitzen, und geben ihr Innerstes preis, obwohl der Polizist manchmal um professionelle Distanz und der Attentäter um Geheimhaltung bemüht ist. Der Zuschauer gerät so in die Rolle eines unmittelbaren Zeugen des Ringens der Antagonisten und bald weiß man nicht mehr, wer da mit wem ringt, hofft und verzweifelt: Terrorist und Geheimpolizist oder doch Tochter und Vater. Die Lesart und die Körpersprache verliehen der Performance einen unweigerlich authentischen Charakter. Da wurde dem Publikum großes Kino geboten. Das in der Wirklichkeit 17 Stunden dauernde Gespräch spitzt sich immer weiter zu und die Chancen schwinden, dass sich der Terrorist ergeben wird. Die Erstürmung des Versteckes und die Tötung des Täters scheinen unausweichlich.

Schon ist ein Einbruch in der Dramatik des Stückes zu befürchten, als eine einzelne Akteurin aus der Zuschauermitte die Bühne betritt. Die Besucher der Veranstaltung „Being Nietzsche“ des Vortags erkennen in ihr die Regisseurin und Schauspielerin Judith Rosmair, die ihnen vor knapp vierundzwanzig Stunden noch als Nietzsches manipulative und komplexbeladene Schwester Elisabeth gegenüberstand. Und noch einmal vierundzwanzig Stunden später wird sie wieder als Elizabeth auf der Bühne stehen, nun aber als Queen Elizabeth in Shakespeares „Richard III“ im Düsseldorfer Schauspielhaus.

Sie beginnt ihren Part mit einem als Lesung verdeutlichten Teil, indem sie auf der Bühne Wolfgang Heyders moderne „Penthesiela (sic!) Moabit“ auf dem Schoß zu liegen hat und zu lesen beginnt. Durch ihre Bühnenpräsenz gelingt es ihr schnell, das Publikum in ihren Bann zu ziehen und an die vorangegangene Szene anzuknüpfen. Eine in Berlin aufgewachsene Deutsch-Kurdin beschließt, sich den Frauenkampfverbänden der kurdischen YPG anzuschließen, um in der Auseinandersetzung mit dem IS für einen kurdischen Staat einzutreten. Just als sie einen IS-Kämpfer töten möchte, zieht sie der muskulöse, makellose Körper des Mannes an und sie beginnt, sich in ihn zu verlieben. Es würde jedoch wenig Gemeinsamkeiten zu Kleists „Penthesilea“ geben, hätte Heyders Erzählung ein Happy End. Kaum merklich schlüpft nun Judith Rosmair in die Rolle der Amazone und wird zu der Frau, deren Entsprechung in der Gegenwart sie gerade gelesen hatte. Ganz großartig spielt sie den Unglauben, dann die Zweifel, die zur Gewissheit werden, den geliebten Achilles getötet zu haben. Die bis dahin meist ein weißes, abweisendes Licht auf die Bühne werfenden Scheinwerfer tauchen nun die erst männermordende und dann selbst Hand an sich legende Penthesilea in blutendes Rot.

Kleists „Penthesilea“ ist im Umfeld des Trojanischen Krieges angesiedelt, in dem Achilles auf der Seite der Griechen gegen Troja kämpft. Im amerikanischen Blockbuster „Troja“ spielte Brad Pitt die Rolle des Achilles. Als nun in „Kleist und andere Monster“ der Musiker Daniel Léon als Achilles die Bühne betritt, wird seine verblüffende Ähnlichkeit mit Brad Pitt deutlich. Eine verwandtschaftliche Beziehung des Hamburgers mit dem Amerikaner soll nicht bestehen. Léons Eltern sind Violinistin und Bratschist. Kein Wunder also, dass sich der pubertierende Junge zunächst mit dem Schlagzeug anfreundete. Als junger Mann spielt er nun acht Instrumente auf dem Niveau eines Berufsmusikers. Daneben ist er aufgrund seiner stimmlichen Begabung und Ausbildung mit einer Gesangsstimme gesegnet, die ihresgleichen sucht. Er sang und spielte in der Schlussszene „Girls“ von den Beatles, mit der passenden Textzeile: „Will she still believe it when he’s dead?“ Aber nicht nur der Text, auch die Melodie steht unter hellenistischem Vorzeichen; ließ sich doch Paul McCartney, der die Coda des Liedes beisteuerte, von der Titelmelodie des Spielfilms „Alexis Sorbas“ inspirieren.

Mit diesem Ende beginnt das Stück, wie es angefangen hat: völlig ungeschminkt in einer harten und grausamen Welt. Die Macher sind nicht auf flüchtigen Applaus und die schnell verblassende Gunst des Publikums aus. Hier wurde entsprechend dem Thema der Kleist-Festtage 2023 „Vom Suchen und Erfinden“ ganz tief nach den Quellen von Hass, Gewalt, Terror und Krieg geschürft und die Liebe verdeutlicht als das dem Ekel der Welt entgegengesetzte Prinzip.

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