In unserer Doppelstadt hat sich eine vielfältige Kulturszene entwickelt, die nur Eingeweihte kennen. Das soll sich mit dem Kunstladen «Kukuryku!» jetzt ändern. Von Jeanette Bederke

Philip Murawski hat ein Faible für die Kunst. Das liegst einerseits an seinem Studium der Kulturwissenschaften an der Europa-Universität Viadrina, andererseits an persönlichem Engagement.

Der 33-Jährige hat das studentische Theaterfestival «Unithea» mitorganisiert, später den Verein Doppelstadt Kultur gegründet. «Dadurch kam ich in Kontakt mit immer mehr Künstlern beiderseits der Oder und war letztlich erstaunt, wie viele es in Frankfurt und dem polnischen Slubice gibt», erzählt der gebürtige Pole, der in Berlin aufgewachsen ist und jetzt an der Oder lebt.

Diese vielfältige Kunstszene sei der breiten Öffentlichkeit in der deutsch-polnischen Doppelstadt kaum bekannt, hat Murawski festgestellt. Gemeinsam mit Paul Bettge, ebenfalls Viadrina-Absolvent, hat er kürzlich in Frankfurt den Kunstladen «Kukuryku» eröffnet. Streetart-Werke, Skulpturen, Malereien, Installationen, Fotografien und Graffiti heimischer Künstler werden dort verkauft.

Der Name für den Laden kommt aus dem Polnischen und bedeutet «Hahn» – Wappentier der beiden Grenzstädte. Er stehe aber auch für den Aufruf «Aufgewacht, die Kunstszene ist da», erläutert der Ladeninhaber. «Mit mehr als 20 Künstlern kooperieren wir bereits, aber es gibt mindestens doppelt so viele.»

Der Laden mit kleiner Bar und gemütlichen Sitzecken auch vor der Ladentür sei keinesfalls eine Galerie im engeren Sinne. «Es ist ein Ort zum Wohlfühlen, mit einem ungezwungenen Einblick in die örtliche Kunstszene. Und die Kunstwerke sind durchaus erschwinglich», sagt er. Von zwei bis 1800 Euro reiche die Spanne. Neben Originalen gebe es auch Reproduktionen für den kleinen Geldbeutel, zudem Workshops und Seminare mit Künstlern. Regelmäßige Künstlerstammtische sind in Planung. «In den ersten Tagen haben wir schon einiges verkauft, das Interesse wächst und unser Laden spricht sich rum», sagt er. Das Ganze sei ein Experiment, sind sich die beiden Gründer bewusst.

Ohne die Unterstützung des Viadrina-Gründerzentrums hätten sie es wohl nicht gewagt, macht Murawski deutlich. Und auch nicht ohne den besonderen Standort. «Kukuryku» zog in die Große Scharrnstraße, die in den 1980er Jahren geschaffene Fußgängerzone, die unsere Oderstadt mit dem Grenzübergang «Stadtbrücke» verbindet. Was das wenige Hundert Meter lange Areal so besonders macht, sind die zahlreichen öffentlichen Kunstwerke. 18 Künstler konnten sich hier in den späten 80ern ohne politische Vorgaben verwirklichen – mit Brunnen, Beleuchtung, Reliefs oder Wandmalereien. «Diese künstlerische Vielfalt im öffentlichen Raum gibt es im Land Brandenburg sonst nirgends», sagt der Frankfurter Architekt Bernhard Schuster.

Für das Frankfurter Wohnungsunternehmen WohnBau machte er die ersten Planungen für die bereits seit 2018 laufende Sanierung der Großen Scharrnstraße, die nach der Wende in Vergessenheit geraten war. Ladenlokale standen leer, auch immer mehr Wohnungsmieter flüchteten aus den unsanierten Quartieren.

«Wir rekonstruieren jetzt für rund 16 Millionen Euro, verändern Grundrisse für bessere Wohnqualität, erhalten aber den Charakter der Straße»

erklärt WohnBau-Sprecherin Regina Haring.

Unter dem Motto «Neues Leben in der Großen Scharrnstraße» arbeitet das Unternehmen mit der Europa-Uni zusammen. Studenten erforschten die Geschichte des Areals und der Kunstwerke.

© Foto: Christian Budschigk

Das Viadrina-Institut für angewandte Geschichte hat bereits Büroräume in sanierten Gebäudeteilen bezogen wie auch eine Studenten-Bar. Zwei Künstler wollen demnächst ihre Ateliers hier einrichten. Und auch die lange Zeit unbeachtete Kunst im öffentlichen Raum wird saniert und gereinigt, um aus der Straße eine echte Kunstmeile zu machen. «Wir werden die Kunstwerke zusätzlich sichern und gegen Beschädigungen schützen», sagt Haring.

Magdalena Scherer vom Frankfurter Kulturbüro hört das gern. Von den rund 250 Kunstwerken im öffentlichen Raum in der Stadt seien einige im Laufe der Nachwende-Jahre verschwunden: durch Vandalismus zerstört oder auch von Metalldieben entwendet. «Ich finde es gut, dass der Fokus hier auf diese öffentliche Kunst gerichtet wird und hoffe, das vielleicht neu geweckte Interesse daran geht über die Große Scharrnstraße hinaus», meint Scherer. Sie möchte auch neue Kunstwerke in den öffentlichen Frankfurter Stadtraum bringen.

Die Räume für den Kunstladen «Kukuryku» stellt die WohnBau den beiden Gründern mietfrei zur Verfügung. «Die öffentliche DDR-Kunst und die neuentstandene junge Kunst in der Doppelstadt wird so miteinander kombiniert», erklärt die WohnBau-Sprecherin. «Hier kommen ständig Leute durch, da die Straße zu Fuß die kürzeste Verbindung zwischen Frankfurt und Slubice ist», sagt Murawski. Viele hätten schon reingeschaut und wollten wieder vorbeikommen.

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