Wanderausstellung zu Ausweisung Tausender Juden vor Pogromnacht

Historische Postkarte von Frankfurt (Oder) mit der Marienkirche im Hintergrund.

Fachleute sehen in der «Polenaktion» der Nazis eine Generalprobe zur Deportation der jüdischen Bevölkerung: Das Ereignis noch vor den Pogromen geriet Jahre in den Hintergrund. Eine Ausstellung zeigt Einzelschicksale.

Der 9. November 1938 ist als Tag der nationalsozialistischen Pogrome in die Geschichte eingegangen und steht für die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung. An diesem Tag zerstörten Nationalsozialisten jüdische Geschäfte, Synagogen, und andere Einrichtungen. Tausende Jüdinnen und Juden wurden misshandelt, verhaftet oder ermordet.

Ein anderes Verbrechen, die sogenannte «Polenaktion», die bereits 13 Tage zuvor über das Schicksal von Tausenden jüdischen Menschen entschied und über die damals die internationale Presse berichtete, geriet dann durch die Pogrome in den Hintergrund.

Die Wanderausstellung «Ausgewiesen! Die Geschichte der Polenaktion» thematisiert das Geschehen. Bis Ende November ist sie in der Frankfurter Marienkirche zu sehen.


In der Ausstellung wird das Schicksal sechs ausgewiesener jüdischer Familien gezeigt, darunter aus Hamburg und Berlin sowie die Geschichte eines Frankfurter Bürgers, der 1938 den Zug nach Polen in der Oderstadt besteigen musste. Kuratiert hat die Schau Historikerin Alina Bothe. Es ist eine Ausstellung des «Aktiven Museum» Berlin, die mit dem Osteuropainstitut 2015 mit Studierenden begonnen und erweitert wurde – auch mit Unterstützung der Europa-Universität Viadrina, die zur lokalen Geschichte recherchierte. Stationen der Wanderausstellung sind Rendsburg und Regensburg.

Auf der Suche nach den Familiengeschichten unternahm Bothe auch Recherchereisen. Grundlage waren Namen von Personen, die ermordet wurden. In Berliner Archiven wurde nach Menschen gesucht, die nach dem Krieg Entschädigungsansprüche gestellt hatten. Alte Fotos und Pässe halfen, sogar per Facebook seien Menschen gesucht und gefunden worden, so die Forscherin, die auch an Grenzen stieß. So verlor sich manchmal plötzlich die Spur einer Familie. Mitunter gab es aber auch unerwartet Hinweise oder über Angehörige Recherche-Material.

Zwischen den Novemberpogromen und der «Polenaktion» besteht ein Zusammenhang, wie die Historikerin deutlich macht. Am 28. Oktober 1938 seien in einer «Polenaktion» kurzfristig mindestens 17 000 im Deutschen Reich lebende, aus Polen eingewanderte Juden verhaftet und ausgewiesen worden. Sie wurden dazu an die polnische Grenze verbracht. Frankfurt (Oder) war damals Knotenpunkt für Züge von West nach Ost. Die Abschiebung sei gewaltsam erfolgt und für die Betroffenen völlig überraschend, berichtet Bothe. Herschel Grynszpan, dessen Eltern betroffen waren, habe deswegen am 7. November in Paris auf den deutschen Botschaftsmitarbeiter Ernst Eduard vom Rath geschossen, der am 9. November starb. Das wiederum wurde Bothe zufolge zum Anlass für die Pogrome genommen.

© Foto: Bundesarchiv Ausweisung von polnischen Juden aus Nürnberg 1938

Im öffentlichen Gedächtnis trat die Ausweisungsaktion hinter die Ereignisse der Pogromnacht zurück und wurde auch durch die Deportationen in die Vernichtungslager überlagert, stellt die Historikerin fest. Ein weiterer Fakt ist ihr zufolge, dass die Aktion bis heute schlecht eingeordnet werden könne. Die Ausweisung sei noch keine Deportation, wie sie dann ab 1941 erfolgte, erklärt sie. Ausgewiesen wurden die Juden ins 1938 noch souveräne Polen.

Die Aktion vor den Pogromen hält die Forscherin trotzdem für bedeutsam, weil sie ein «Beschleunigungsmoment» gewesen sei. «Es ist ein Moment, an dem die Täterinnen und Täter verstehen: Das können wir machen, es funktioniert.» Für die Betroffenen stellte die kurzfristige Ausweisung einen eklatanten Einschnitt dar. «Die Leute haben am 27. Oktober beispielsweise noch ein Geschäft besessen und aufgemacht. Am 28. Oktober waren sie plötzlich Flüchtlinge und landeten im kalten, nassen Grenzgebiet – aus dem Nichts.»

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