Kulturkritik: Woyzeck an der Bürgerbühne – Eine Performance nach Georg Büchner

Den Beteiligten an dem Stück „System. Woyzeck“, die vor der Premiere durch die Wandelhalle des Kleist Forums huschten, sah man die Anspannung deutlich an. Von Bernd Hesse.


Schnell spielen sich Marie Albrecht, Tillmann Drews, Sidney Fahlisch, Anna-Lena Heidenreich, Dennis Kramp, Sophie Scheiper und Sophia Dörner ein; hetzen über die Bühne, bringen Unruhe ins Bild, signalisieren Perspektiv- und Ziellosigkeit und widersprechen dem Dargestellten. Sie selbst sind ein Ensemble, das sich schnell gefunden, Höhen und Tiefen durchgemacht, sich eingespielt und damit einen Sinn gegeben hat.

„System. Woyzeck“ heißt die erste große Produktion der Bürgerbühne im Kleist Forum in der Spielzeit 2023/2024, die am Samstag Premiere gefeiert hat.

Der Sound spiegelt den getrieben Woyzeck wider. Hauptsache, so der erste Eindruck, werde ich nicht die ganze Zeit damit gequält. Für die weitere Entwicklung dieses Gedankens bleibt keine Zeit; schnell tritt die Sprache in den Vordergrund und die Musik begleitet und erzeugt im Verlauf des Stückes Emotionen. Dabei wird nicht auf die Tränendrüsen gedrückt. Ein gelungenes Sounddesign von Richard Wolf, das auch einmal Atempausen lässt und nur spielerisch untermalt, nur gekonnt unterbrochen von Augenblicken der Stille, rundet das Gesamtbild ab. Pausen und plötzliche Ruhe erzeugen hier Aufmerksamkeit und Spannung.

Die Bühne ist ein großer Raum, wird zum Wohnzimmer, in dem der Zuschauer vor einem Bildschirm sitzt und nicht weiß, ob er weiterzappen oder verweilen soll. Die Videoinstallation lässt die Blicke an den rechten und linken Rand der Bühne schweifen, mit Bildern, welche die gerade Spielenden zeigen oder die Situation des Getriebenen und Herumgestoßenen verstärken. Während des Spiels wird ein weiterer, bis dahin nicht sichtbarer Raum eröffnet. Nein, kein Raum, ein Kämmerlein. Und schon wieder ein Fernseher darin. Diesmal viel kleiner und zunächst Belangloses zeigend. Ein erster Gedanke schießt durch den Kopf: Jetzt übertreibt die Inszenierung aber mit der Videoinstallation. Trotz aller Vorbehalte, die sich durch den Genuss moderner Theateraufführungen gegen den massenhaften Einsatz derartiger Technik beim Kritiker eingestellt hat, ist das nicht zu viel. Die Aussage wird deutlich: Hierhin wird das Kind abgeschoben; geparkt vor der Glotze, die Tag und Nacht läuft. Der Vater hat keine Zeit und die Mutter ist mit sich selbst beschäftigt.

Das System Woyzeck gewinnt immer klarere Konturen: hier wächst eine weitere Generation ohne Zuversicht ins Leben. Aber Halt! Da gibt es die Pflanze, die umgetopft und weiter aufgezogen wird. Nicht gerade gehegt und gepflegt, da mir der Pflanze recht rüde umgegangen wird. Die Hände der Spieler werden beschmutzt bei einer Arbeit, die die Seele nicht beschmutzt. Der Körper und die Seele, die zum Markte getragen werden, die Schändung und die Beschmutzung, die ihnen dabei widerfahren, sind Themen, die die Akteure mit dem „System. Woyzeck“ assoziieren und auf der Bühne präsentieren. Beim wiederkehrenden Spiel mit dem Pflänzchen wird die Erde so bewegt, dass im Zuschauer Mitleid aufkommt mit denjenigen, die nach der Vorstellung dort reinigen müssen. Die Grünpflanze bleibt offensichtlich ein Lieblingsrequisit des Regisseurs Hannes Langer, eine Allegorie auf das Leben.

© Foto: Bernd Hesse

Das Licht scheint bei einer kurzen, prägnanten Texteinführung in der sachlich hellen Unterrichtszimmer-Beleuchtung. Nun wollen die Performerinnen und Performer dem Leben und der Tat Woyzecks auf den Grund gehen und entwickeln das „System. Woyzeck“. Das Licht spielt bei einer Welt, von der sich die Menschen und diese auch untereinander immer weiter entfremden mit kaltem Blau, im Wechsel mit den durch schwächeres Licht in grau erscheinenden Wänden; zwischendurch Spots auf die Spielenden. Das später ins Spiel eingeführte Zimmer des Kindes bleibt bis auf kleine Unterbrechungen noch hoffnungsvoll im warmen Licht. Nach grell bunten Szenenbeleuchtungen in Lila und Rot, dann wieder kaltem Blau, sind die Spieler am Ende in trostloses Einheitsgrau gekleidet, sich selbst entfremdet und in die Masse eines glücklosen Arbeitsheeres getaucht.

Das Stück erschöpft sich in keiner platten Gesellschaftskritik, möchte nicht einfach gefallen, weder mit dem Inhalt des teils drastischen Textes noch mit dem schockierenden Spiel des in den Wahnsinn Getriebenen. Der Anspruch wird deutlich, mit dem Nachdenken über Woyzeck, mit einer Suche nach Werten und ihrer Umwertung, einer vermeintlichen Orientierungslosigkeit und der Darstellung der enormen psychischen Belastungssituation des Antihelden, die ihn bis zum Äußersten treibt, zum Mord an Marie, weiter im Gespräch mit dem Publikum bleiben zu wollen. Dazu gab es bei der anschließenden Premierenfeier ausreichend Möglichkeit, und die Zuschauer machten hiervon regen Gebrauch.

Der Künstlerische Leiter Florian Vogel würdigte die Leistung der Darstellerinnen und Darsteller, lobte den Mut und den Ideenreichtum der Akteure, die sich an den komplexen Stoff wagten. Dem Team um Hannes Langer, Katja Münster, Richard Wolf und Naomi Hutomo mit ihren Darstellerinnen und Darstellern gebührt Anerkennung für diese geglückte Adaption des Stoffes, ohne sich von den Wurzeln desselben gelöst zu haben.

Das Stück wird im November noch sieben Mal gespielt; zunächst am 8., 10. und 12. November.

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