Die St. Marien Kirche in Frankfurt (Oder).

Eigentlich sollte es in der Kulturausschusssitzung am Dienstagabend im Kleist Forum um das Konzept zur Nutzung und baulichen Entwicklung der St.-Marien-Kirche in Frankfurt (Oder) gehen. Einreicher war Oberbürgermeister René Wilke. Doch dann kam es zu einem Eklat durch den AfD-Stadtverordneten Jürgen Fritsch, der in einer Nachfrage behauptete „die plündernden Polen und Russen“ haben die Fenster der St.-Marien-Kirche gestohlen. Das sei „illegales Raubgut“. Außerdem „habe nicht die SS Frankfurt (Oder) zerstört, sondern die Polen und die Russen… …die haben uns bestohlen!“, so Fritsch.

© Foto: Christian Budschigk

Kopfschüttelnd saßen die meisten Anwesenden im großen Saal des Kleist Forums. Superintendent der Evangelischen Kirchengemeinde Frankfurt (Oder) – Lebus und dem Kirchenkreis Oderland Spree, Frank Schürer-Behrmann war sichtlich erschrocken über die Worte. Gegenüber der Oderwelle sagte Schürer-Behrmann „ich finde es peinlich und hoffe, dass keine Vertreter unserer polnischen Nachbarstadt anwesend waren“. Er nannte die Rede von Jürgen Fritsch „verantwortungslos, verallgemeinernd und klischeebedienend“. Außerdem sei nicht die ganze historische Wirklichkeit dargestellt.

Zum Hintergrund: während des Zweiten Weltkrieges wurden die Fenster (117 Felder) der St.-Marien-Kirche im September 1941 zum Schutz vor Zerstörung ausgebaut. Zunächst in Frankfurt eingelagert und 1943 in Schwarz-Weiß fotografisch dokumentiert, gelangten sie im April 1945 nach Potsdam in das Neue Palais. Mit der Zerstörung der Frankfurter Innenstadt im April 1945 wurde auch die St.-Marien-Kirche zur Ruine. Trotz mehrerer Notsicherungen kam es zu weiteren Teileinstürzen. Die wertvollen Bleiglasfenster verbrachte die Sowjetische Militäradministration in Deutschland im Juni 1946 als Beutekunststücke von Potsdam nach Berlin in das Kriegsbeutelager der Roten Armee. Von dort kamen sie im August 1946 nach Leningrad in das Depot der Eremitage. Damit galten die Fenster als „seit Kriegsende verschollen“.

© Foto: Peter Gudlowski

Nachdem im April 1991 die sowjetische Literaturnaja Gaseta einen ersten Hinweis auf den Verbleib der Fenster veröffentlicht hatte, begannen 1994 mit einer Petition des Gemeindekirchenrates Frankfurt (Oder) an den russischen Ministerpräsidenten Wiktor Stepanowitsch Tschernomyrdin die deutschen Bemühungen um eine Rückgabe. Sie führten im April 2002 zu einem Gesetz der Duma mit Zustimmung des Föderationsrats zur Rückgabe der 111 gefundenen Felder. Sie wurden ab Sommer 2002 nach und nach vor Ort in einem Raum über der Sakristei mit Hilfe der Schwarz-Weiß-Fotos restauriert.

© Foto: Peter Gudlowski

Am 28. Mai 2005 konnte in einem Festakt die Wiedereinweihung des ersten restaurierten Fensters im Chor von St. Marien gefeiert werden. Daraufhin erschien im Juni 2005 in der Moskauer Tageszeitung Kommersant eine Nachricht, wonach sich die fehlenden sechs Felder im dortigen Puschkin-Museum befinden. Nach wiederum jahrelangen Verhandlungen beschlossen Staatsduma und Föderationsrat im März 2008 ein Gesetz zur Rückgabe der letzten sechs Fensterbilder. Der deutsche Kulturstaatsminister Bernd Neumann übergab sie am 17. November 2008 aus der Hand der deutschen Botschaft in Moskau an die Kirchgemeinde und die Stadt. Die vollständig restaurierten Fenster sind seit dem Februar 2009 wieder in der Marienkirche zu sehen.

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