Frankfurt (Oder): Der Kommissar im Rock

Kriminalhauptkommissar Adam Raczek und Kommissaranwärter Vincent Ross wissen bei ihrer ersten Begegnung noch nicht, dass sie künftig als Kollegen zusammenarbeiten werden.

Alles auf Anfang: Im neuen «Polizeiruf 110»-Krimi «Hildes Erbe» ermittelt ein neues Team. Adam und Vincent können als Kommissare unterschiedlicher nicht sein. Das schafft eine noch nicht dagewesene Spannung – und mehr Diversität im TV. Denn der Neue ist queer. Von Silke Nauschütz

Ein toter Student, eine hartherzige Großmutter mit viel Bargeld und eine eifrige Pflegerin: So sieht der Mordfall aus, in den der neue «Polizeiruf»-Kommissar Vincent Ross noch vor Dienstantritt verwickelt wird.

Der aktuelle Fall von der deutsch-polnischen Grenze erzählt eine komplexe Geschichte, die tief in familiäre Abgründe schaut.

Bei den Ermittlungen hat Kriminalhauptkommissar Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) seinen neuen Kollegen Ross (André Kaczmarczyk) an der Seite, der frisch von der Polizeischule kommt. Ross hat ganz eigene Arbeitsmethoden und Ansichten von der Welt, die in Adam ein Wechselbad der Gefühle auslösen. Hat er doch genug eigene Baustellen: Seine zunehmende Tablettensucht bleibt auch Vincent nicht verborgen. Das Erste zeigt den Film «Hildes Erbe» am Sonntag um 20.15 Uhr.

Ross hat sich vor seinem ersten Arbeitstag eine Wohnung in Słubice, der polnischen Seite der europäischen Doppelstadt, besorgt. Von Mietern wie dem 22-jährigen Bastian Grutzke wird er freundlich aufgenommen. Wenig später wird der Student ermordet in seiner Wohnung aufgefunden. Ermittler Adam Raczek, der Zeugen am Tatort befragt, staunt nicht schlecht, als er dort seinem neuen Kollegen begegnet.

Befremdlich scheint Adam zunächst der Rock, den der queere Vincent trägt. Überhaupt hat Adam sich seinen Partner so nicht vorgestellt. Sein Gegenüber hat mehr Feingefühl und ist nicht so impulsiv wie er selbst. Raczek kann sich ironische Bemerkungen nicht verkneifen – den Neuen bringt das nicht aus der Ruhe.

Kriminalhauptkommissar Adam Raczek und Kommissaranwärter Vincent Ross kommen bei ihrem ersten gemeinsamen Fall nicht weiter.
© Foto: rbb / Rudolf Wernicke Kriminalhauptkommissar Adam Raczek und Kommissaranwärter Vincent Ross kommen bei ihrem ersten gemeinsamen Fall nicht weiter.

Die Spuren in der Wohnung des Opfers weisen auf einen Streit hin, der mit Erbschafts-Auseinandersetzungen der Familie Grutzke zu tun haben könnte. Bastians Großmutter Hilde (Tatja Seibt), verwahrt eine beachtliche Menge Bargeld in Tüten in ihrem Haus. Ihre Tür öffnet sie schon mal mit vorgehaltener Schrotflinte. Das Ermittlerduo findet heraus, dass Hildes Verhältnis zur Familie angespannt ist, vor allem zu ihrem Sohn Ulf (Lars Rudolph). Zu Enkel Bastian hatte sie bis kurz vor seinem Tod keinen Kontakt. Enkelin Emma (Ada Philine Stappenbeck) ist merkwürdig verschlossen und hatte nur zu Bruder Bastian eine Bindung. Deutlich näher steht Hilde ihrer Pflegerin Sandra Böttcher (Isabel Schosnig), die die erkrankte Frau versorgt. Irgendwie scheinen alle an Hildes Vermögen interessiert. Ein Mordmotiv?

Es wurde viel spekuliert, wer nach zehn Jahren das Erbe von Maria Simon alias «Polizeiruf»-Kommissarin Olga Lenski antreten wird. Mit dem Willen der Film- und Fernsehbranche, mehr Vielfalt abzubilden ohne ständig Gendersternchen und Frauenquoten zu bemühen, führt der rbb nun einen queeren Kommissar ein – gelebte Realität in Deutschland erreicht offenbar auch immer häufiger ermittelnde Polizeiteams.

Als queer bezeichnen sich Menschen, die nicht heterosexuell sind oder sich nicht mit dem traditionellen Rollenbild von Mann und Frau oder anderen gesellschaftlichen Normen rund um Geschlecht und Sexualität identifizieren.

Die Besetzung von André Kaczmarczyk als Ermittler ist ein absoluter Glücksfall für das Fernsehen. Der Schauspieler, der eher auf den Theaterbühnen zuhause ist und den Ausflug in den Film als «Abenteuer» sieht, verkörpert den neuen Polizisten-Typ: sensitiv und Gegenpart zum «typischen Bullen», dessen Darstellung er eher uninteressant findet, wie der queere Mime der Deutschen Presse-Agentur erzählt. Zu seiner Figur Vincent sagt er: «Es ist noch nicht klar, was das ist und wer das ist, das bleibt ja offen und das finde ich auch richtig. Da sieht jeder, was er sieht und sehen möchte.»

Schauspieler Lucas Gregorowicz fügt hinzu: «Mit Vincent kommen neue Regeln und eine andere Dynamik ins Spiel. Nicht ein weiterer „Haudegen TV Kommissar“ sondern einer, dessen Welt- und Menschenbild Adam zu einer neuen Perspektive zwingt.» Das sei ein Schritt in die richtige Richtung. Über die Arbeit mit seinem Schauspielerkollegen sagt Gregorowicz gut gelaunt: «In André bin ich verliebt.»

Vor allem über eines ist Gregorowicz glücklich. Die Schauspieler bekommen in dieser Folge mehr Platz für das Spielen ihrer Figuren. «Wir hatten Gelegenheit, mehr zu erzählen als einfach nur weiter die immer gleichen Kommissarsfähnchen abzustecken.»

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