«Wir sind der unsichtbare Papierkorb» – Seelsorger in der Pandemie

Wie geht es dir? Zuspruch und Trost in der Corona-Krise werden nach zwei Jahren Pandemie wichtiger. Seelsorge in Kliniken und am Telefon hat Hochkonjunktur.
Von Silke Nauschütz und Anna Bückmann

«Kommt ihr überhaupt noch nach Hause?» Mit dieser Frage nach seinem Arbeitspensum kann Uwe Müller momentan wenig anfangen. Der Seelsorger ist in der Corona-Pandemie auf den Stationen des Carl Thiem Klinikums (CTK) in Cottbus täglich unterwegs und nimmt sich für jedes gewünschte Gespräch die Zeit, die gebraucht wird. Seit 25 Jahren betreut der 60-Jährige Erkrankte, Entmutigte, Einsame, Sterbende.

Corona war auch für ihn und seine Kolleginnen eine neue Herausforderung. Er habe sich anfänglich mit eigenen Ängsten um seine Gesundheit auseinandersetzen müssen, erzählt Müller. «Aber Seelsorger sollten in allen Situationen für die Menschen da sein. Das wollen wir und das sind wir», sagt er bestimmt. Die Herausforderung im Umgang mit den Patienten sei es, Hoffnung zu haben und zu vermitteln, dass es besser werden wird. Müller nennt es eine «bewusste» Entscheidung, «in die Einsamkeit der Patienten mit ihrer Krankheit zu gehen».

Der evangelische Krankenhausseelsorger und seine zwei Kolleginnen im CTK sind mitunter der einzige Draht zwischen Erkrankten und ihren Angehörigen. Im Klinikum herrscht generelles Besuchsverbot – es darf nur mit Ausnahmegenehmigung betreten werden. Die drei Seelsorgenden halten Kontakt zur Außenwelt. Mal ist es ein Anruf bei Angehörigen eines Patienten, mal die Bitte eines Sohnes, dem erkrankten Vater frische Wäsche zu überbringen.

«Wir sind Sprachrohr geworden zwischen Angehörigen und Patienten», sagt Müller und erzählt von einem Erlebnis, das ihn besonders bewegt hat. Der Seelsorger begleitete ein schwer an Covid erkranktes Ehepaar in der Krise. Der Mann starb, die ebenfalls im Krankenhaus liegende Frau hatte große Sorge, sich von ihrem toten Mann am Grab nicht verabschieden zu können. Müller rief in der Gemeinde an und sorgte dafür, dass die Beisetzung bis zur Genesung der älteren Dame verschoben wurde.

Die Evangelische Kirche zählt insgesamt 68 Seelsorgerinnen und Seelsorger in Brandenburg. 30 davon sind in Kliniken unterwegs, wie Ulrike Mattern, Sprecherin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), berichtet. Im Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam etwa arbeiten nach Angaben des Versorgers drei Seelsorger.

Auch die Klinikmitarbeitenden am Carl Thiem Klinikum brauchen Müller und seine seelsorgenden Kolleginnen mitunter zum Reden – etwa wenn Situationen an den Grundfesten ihrer Arbeit rütteln und sie in Konflikte geraten. Besonders hart sei es, wenn Patienten schwer an Covid erkrankt seien und ihm sowie dem medizinischen Personal erzählten, dass es kein Corona gebe und sie nur eine Grippe hätten, beschreibt er. «Wir können nur den Hut ziehen vor allen Mitarbeitenden, die damit umgehen müssen.»

Denn auch in solch einer Situation müssten sie alle ihrem ethischen Anspruch gerecht werden, damit die Patienten wieder gesund werden.

«Wir sind der unsichtbare Papierkorb und da bleibt es»

betont der Seelsorger.

Priester, Diakone, Ordensleute – es sind ganz unterschiedliche Seelsorgerinnen und Seelsorger im Land im Einsatz. 43 solcher Betreuerinnen und Betreuer zählt allein das Erzbischöfliche Ordinariat Berlin in Brandenburg.

Daneben hat das Erzbistum unter anderem Seelsorgende, die in Krankenhäusern, am Flughafen, in Gefängnissen oder an Hochschulen ihre Hilfe anbieten, unter ihnen Verena Michalczyk. «Danke, dass Sie da waren und zugehört haben» – solche Worte geben der katholischen Krankenhausseelsorgerin am CTK Kraft, wie sie sagt. Denn dann habe sie für einen Moment der Erleichterung gesorgt.

Mitunter hätten Patienten auch geweint, weil sie jemanden zum Reden hatten, berichtet die 57-Jährige. «Mit Angehörigen laufen Gespräche manchmal in eine gewisse Richtung. Manchmal passiert es, dass man durch uns nochmal neu auf die Situation schauen kann», schätzt sie ein. Manch einer sei aber auch still und wolle nur, dass sie vorlese.

Die kirchliche Telefonseelsorge in Berlin und Brandenburg wird laut EKBO von vier Seelsorgerinnen und Seelsorgern in der Hauptstadt, in Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam betreut. Ohne die etwa 360 Ehrenamtler wäre diese Arbeit nicht möglich, bringt es Seelsorger Uwe Müller auf den Punkt. «Als die Corona-Krise losging, waren wir genauso verängstigt und in Sorge, wir haben Corona ja auch nicht gelernt», beschreibt der Dienststellenleiter für den Berliner Bereich die Entwicklung.

Das Gefühl von Sicherheit habe jeder für sich erst einmal schaffen müssen, um in der Lage zu sein, das auch auf die Anrufenden übertragen zu können. Mitunter müsse man übers Telefon auch Zugang zu irrational reagierenden Hilfesuchenden bekommen.

«Es haben Leute angerufen, die haben sich in der Wohnung eingeschlossen und die Wohnungstür abgeklebt, damit das Virus nicht durchs Schlüsselloch kommt», erzählt der Seelsorger. Seine Kollegen hätten diese Menschen ermutigt, die Isolation zu überwinden und Kontakte mit ihren Umfeld aufzunehmen, zum Beispiel durch Briefeschreiben oder Anrufe.

Die Telefonseelsorge in der Corona-Pandemie hat ihm zufolge so manchen Vorteil. «Wir sind kostenlos rund um die Uhr erreichbar, eine menschliche Krise richtet sich nicht nach der Uhrzeit und das Coronavirus kriecht auch nicht durchs Telefon», sagt Müller. Unschätzbar sei aber der persönliche Kontakt. Der fehle bei den Gesprächen am Telefon.

Manchmal muss Krankenhausseelsorger Müller über seine Alltagserfahrungen schmunzeln. Zum Beispiel, wenn er im CTK ein Gespräch mit einem Patienten führt und der Nachbar auch reden möchte – aber mit dem Hinweis, dass er in keiner Kirche sei. «Selbstverständlich, sage ich. Wir können das auch ohne Eintrittsformular machen.»

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